Massenentlassung, Skandale, Affären: Die HSBC ist auf Schlingerkurs. Weil Europa seine Banken eher reguliert als ihnen Chancen zu bieten, überlegt das Geldhaus, sich auf seine Wurzeln zu besinnen.
Ein kalter Juni-Morgen in Canary Wharf im Osten Londons. Der Wind pfeift um die gläsernen Bankentürme, er pustet in sorgfältig gefönte Frisuren, lässt Röcke und Kleider fliegen. Auch am Canada Square Nummer 8 ist es ungemütlich. Das liegt allerdings nicht nur am "british summer". Die Angestellten eilen mit gesenkten Köpfen auf die Glastüren des Hochhauses zu, vorbei an den beiden bronzefarbenen Löwenskulpturen, die den Eingangsbereich schmücken. Die Tiere, das Markenzeichen von HSBC, liegen erhobenen Hauptes vor dem Portal, den Kopf stolz in den Nacken gelegt.
Doch vom einstigen Stolz der Großbank, die sich stets als "the world's local bank", die Bankfiliale der Welt, bezeichnete, ist nicht viel übrig geblieben. Die Verwicklung in Skandale wie die Manipulation des Interbankenzinses Libor und des Forex-Marktes, die Steueraffäre in der Schweiz und der Verkauf vieler unnötiger Zahlungsschutzversicherungen an britische Kunden haben die Reputation des Bankhauses schwer beschädigt. Zuletzt gingen auch die Gewinne zurück, HSBC verfehlte die Ziele für die Kapitalrendite mehrfach.
Schon bald werden deshalb weniger Mitarbeiter durch die Glastüren in Canary Wharf gehen. HSBC kündigte am Dienstag eine neue Entlassungswelle an, zwischen 22.000 und 25.000 Mitarbeiter sollen gehen, etwa zehn Prozent der Belegschaft. Bis zu 25.000 weitere Stellen könnten wegfallen, wenn die Operationen in der Türkei und in Brasilien wie geplant verkauft werden.
HSBC versucht damit weiter, sich gesundzuschrumpfen, die Zahl der Mitarbeiter ist von zeitweise über 300.000 auf derzeit rund 258.000 gefallen. Die Bank konzentriert sich nun auf ihre Geschäfte in den USA, Europa und Asien, sie droht der britischen Regierung, ihren Hauptsitz zu verlagern. HSBC nimmt damit Abstand vom Konzept der Globalbank, das über Jahre das weltweite Wachstum befeuerte hatte.
150-jähriger Bankgigant gerät ins Schlingern
Rund 8000 Stellen sollen allein in Großbritannien wegfallen, verkündete Bankchef Stuart Gulliver anlässlich des "Investor Day" in London. Neben den Filialen soll auch das Hauptquartier in Canary Wharf bluten. Noch beschäftigt HSBC im Vereinigten Königreich etwa 48.000 Angestellte. London ist seit 1993 der Hauptsitz der "Hongkong Shanghai Banking Corporation". Bis 2017 sollen so bis zu fünf Milliarden Dollar, umgerechnet 4,43 Milliarden Euro, pro Jahr eingespart werden.
Über Jahre hatte die Bank im Versuch, die führende Globalbank zu werden, neue Märkte erschlossen, aus dem einst auf Asien spezialisierten Institut wurde ein internationaler Gigant, der heimische Banken das Fürchten lehrte. Das änderte sich jedoch, als die Finanzkrise ausbrach, Bankchef Gulliver ist seitdem damit beschäftigt, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.
Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2011 hat sich HSBC aus über 70 Ländern oder Geschäftsbereichen verabschiedet, jetzt sollen auch die Präsenzen in Brasilien und der Türkei abgestoßen werden. "Die Welt hat sich verändert und auch wir müssen uns deshalb verändern", sagte Gulliver am Dienstag in London. Bislang sind die Ergebnisse seiner Reformversuche allerdings durchwachsen, im 150. Gründungsjahr der Hongkong Shanghai Banking Corporation ist den Aktionären nicht nach Feiern zumute.
"Wir sehen hier nicht nur den Versuch, Kosten zu sparen", sagt Andre Spicer, Professor für Finanzen und Organisationslehre an der Cass Business School in London. "Es ist ein radikales Umdenken. In den vergangenen drei Jahrzehnten waren große Banken wie HSBC davon überzeugt, dass es am besten ist, wenn sie ihren Kunden überall auf der Welt alles anbieten."
Die Institute hätten versucht, viele Geschäftsbereiche gleichzeitig abzudecken, was, so Spicer, auch Vorteile gehabt habe; so konnten die Banken einen Teil der Sparguthaben für ihre Aktivitäten im Bereich des Investment-Banking verwenden. "Heute stellt sich die Situation jedoch anders dar", sagt der Professor. "Die Regierungen der Welt erkennen zunehmend, dass Universal-Banken "too big to fail" sind. Aktionäre sehen, dass die Banken zu groß sind, um wirklich erfolgreich zu sein."
Zurück zu den asiatischen Wurzeln
HSBC ist nicht das einzige Institut, das sich vom Ziel der Universalbank verabschiedet. Auch der britische Wettbewerber Barclays hat seine internationalen Ambitionen stark eingeschränkt, die amerikanischen Banken haben ebenfalls Stellen gestrichen. "Diesen Trend sehen wir bei vielen Bankhäusern", sagt Finanzprofessor Spicer. HSBC müsse sich jetzt auf einige wenige Märkte und Geschäftsbereiche konzentrieren. Aufgrund der Gründungsgeschichte – HSBC wurde im März 1865 in Hongkong gegründet – wird sich die Bank vor allem auf das Asien-Geschäft fokussieren.
Wie am Dienstag bekannt wurde, plant die Bank, ihre Investitionen in Fernost auszubauen und vor allem in den Asean-Staaten und im Perlflussdelta im Süden Chinas aktiver zu werden. HSBC will dabei sowohl von der zunehmenden Internationalisierung des chinesischen Renminbi als auch von der wachsenden Zahl der Reichen und der Super-Reichen profitieren. "Die Welt wird immer verbundener", sagte CEO Gulliver vor Investoren, "wir erwarten, dass Asien im nächsten Jahrzehnt das Zentrum des weltweiten Handels wird."
Ende des Jahres, so der Plan, sollen die Aktionäre deshalb darüber abstimmen, ob auch der Hauptsitz der Bank nach Asien verlegt wird, möglicherweise nach Hongkong. Aufsichtsratschef Douglas Flint hatte dies bereits 2011 angedroht, im April kam das Thema erneut auf die Tagesordnung. Anhand von elf Kriterien soll nun geprüft werden, welcher Standort für die Bank am attraktivsten ist. HSBC will sich dafür das britische Steuersystem, die Bankenregulierung, die "Fähigkeit, Top-Talente anzuziehen und zu halten" und die möglichen Folgen des bis Ende 2017 geplanten EU-Referendums genauer anschauen, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung.
"Die Entscheidung, sich mehr auf die Asien-Pazifik-Region zu konzentrieren, ist ein schlauer Schachzug", sagt Sarah Boumphrey, Abteilungsleiterin beim Analysehaus Euromonitor International in London. "Die Region wird in den kommenden fünf Jahren das stärkste Wachstum erleben, schon jetzt kommen ein Drittel der weltweiten Exporte daher."
Bankenabgabe verärgert die HSBC
Die Verlegung des Hauptsitzes wäre allerdings auch ein politisches Signal. Die Bank kritisiert seit Jahren die wachsenden Kosten, die die Regulierungsbemühungen britischer und europäischer Behörden verursachen. Besonders die Bankenabgabe, die Finanzminister Osborne 2011 eingeführt hatte, um die Banken an den durch die Finanzkrise entstandenen Kosten für die öffentlichen Haushalte zu beteiligen, stößt den HSBClern übel auf.
2014 musste das Institut dafür umgerechnet über 900 Millionen Euro überweisen; zwischen 2010 und 2014 legte HSBC rund 8,9 Milliarden Pfund, etwa zwölf Milliarden Euro, für Strafen und Rücklagen zur Seite, wie eine am Montag veröffentliche Studie der Londoner CCP Research Foundation zeigt. Auch die Trennung von Privatkundengeschäft und Investment-Banking, das britische Banken bis 2019 vollzogen haben müssen, bereitet den Bankern Kopfzerbrechen. HSBC plant laut CEO Gulliver, dem abgetrennten Geschäftsbereich einen neuen Namen geben.
"Es gibt mehrere Faktoren, die darüber entscheiden werden, ob HSBC den Hauptsitz nach Asien verlegt", sagt Ruta Cereskeviciute, Bankenanalystin beim Informationsdienst IHS in London. "Dazu gehören zukünftige Veränderungen im Bereich der Bankenregulierung in Großbritannien, die Frage, ob das Land Mitglied der Europäischen Union bleibt und welche Risiken und Möglichkeiten sich in Asien bieten."
Zwar könnte ein Umzug nach Hongkong für die HSBC auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko bedeuten, da Hongkong zunehmend in das Finanzsystem der Volksrepublik China integriert wird. Doch Analysten geben sich gelassen: "HSBC wird schon jetzt von verschiedensten Aufsichtsbehörden lokal reguliert – unter anderem das ganze Asiengeschäft von der Hongkonger Bankenaufsicht. Und wenn man berücksichtigt, dass die Bank Wachstum genau in dieser Region anstrebt, könnte es sogar von Vorteil sein, den aufsichtsrechtlichen Schwerpunkt zu verlegen", so Sabine Bauer, Bankenanalystin von Fitch Ratings in Hongkong.
Neben HSBC prüft derzeit auch Standard Chartered, den Firmensitz von London nach Asien zu verlegen, die Bank hat den Stadtstaat Singapur ins Auge gefasst.
Die Drohgebärden der Banken zeigen denn auch erste Erfolge. Schatzkanzler George Osborne soll nach Medienberichten seine Rede anlässlich des "Bankers and Merchants Dinner" am Mittwochabend nutzen, um den Bankern sein Entgegenkommen zu signalisieren. Das "banker bashing", die Bankerschelte, werde ein Ende haben, hieß es am Wochenende aus dem Umfeld des Finanzministers. Am selben Tag sollen jedoch auch die Ergebnisse einer Wettbewerbsprüfung in der Finanzindustrie vorgestellt werden. Beobachter erwarten, dass gegen die konkrete Manipulation von Märkten strengere Gesetze eingeführt werden könnten. Dies könnte ebenfalls Einfluss auf die Standortentscheidung von HSBC haben.