Eigentlich sollte das geplante Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen längst beschlossen sein. Doch die verschärften Regeln lassen auf sich warten. Wie wichtig sie wären, haben jüngst wieder Medienberichte gezeigt.
Von Christian Baars, NDR
"Korruption im Gesundheitswesen beeinträchtigt den Wettbewerb, verteuert medizinische Leistungen und untergräbt das Vertrauen von Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen." Mit diesem Satz beginnt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen. Es gibt also ganz offensichtlich ein Problem. Die Regierung hat es erkannt. Aber es passiert derzeit wenig. Das geplante Gesetz wurde bereits im vergangenen Sommer vom Kabinett verabschiedet. Im Oktober stand der Gesetzentwurf. Anfang dieses Jahres sollte eigentlich der Bundestag darüber abstimmen. Doch die Verabschiedung des Gesetzes wurde schon mehrfach verschoben. Nun ist vom Sommer die Rede.
Linkspartei hat
Pharma-Lobby im Verdacht
"Ich persönlich kann das nur schwer nachvollziehen", sagt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Schärfer wird Kathrin Vogler, Gesundheitspolitikerin der Linkspartei: "Ich finde das unglaublich, wir diskutieren ja nicht erst seit gestern über dieses Gesetz." Nachbesserungen hätten längst stattfinden können, so sie denn nötig wären. Vogler hat einen anderen Verdacht: "Wir erleben sehr rege Lobbytätigkeit der Pharma- und der Ärzteverbände. Ich habe die Befürchtung, dass da einige eingeknickt sind, um dieses ohnehin nicht besonders scharfe Gesetz noch ein bisschen aufzuweichen."
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) widerspricht diesem Verdacht: Pharmafirmen stünden einem Antikorruptionsgesetz nicht im Wege, sagt VFA-Geschäftsführerin Birgit Fischer. Es gebe vielmehr "von vielen Beteiligten wie auch dem Deutschen Richterbund noch Hinweise auf verfassungsrechtliche Fragen".
Diskussion über "legale Form der Korruption"
Die Diskussion über das Antikorruptionsgesetz ist wieder aufgeflammt, nachdem diese Woche Recherchen von NDR, WDR, "Süddeutscher Zeitung" und "correctiv.org" zu sogenannten Anwendungsbeobachtungen (AWB) veröffentlicht wurden. Kritiker bezeichnen diese Art von Studien auch als "legale Form der Korruption". Die Recherchen haben gezeigt, in welch großem Umfang die Pharmaindustrie im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen Ärzte dafür bezahlt, dass sie ihren Patienten ausgesuchte Medikamente verschreiben und dann Daten an die Firmen weitergeben. Mehr als 100 Millionen Euro investieren Pharmafirmen jedes Jahr dafür, zwischen 2009 und 2014 sollten rund 1,7 Millionen Patienten daran teilnehmen.
Vor diesem Hintergrund fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz, den Entwurf des Antikorruptionsgesetzes zu verschärfen. "Jeder Patient muss darauf vertrauen können, dass seine bestmögliche Therapie im Vordergrund steht, wenn ihm ein Medikament verordnet wird", sagte Vorstand Eugen Brysch der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Wo Studien im Rahmen der Anwendung notwendig seien, müsse der Gesetzgeber hierfür klare Regeln festlegen. Patienten müssten vorab informiert werden und schriftlich zustimmen, so Brysch, und eine Bundesoberbehörde müsse die Studien zuvor prüfen. Bislang müssen Anwendungsbeobachtungen lediglich gemeldet, aber nicht genehmigt werden.
In dem bisherigen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption werden Anwendungsbeobachtungen zwar als mögliches Einfallstor für Bestechungen genannt, aber generell als "wünschenswert" bezeichnet. Sie sollen demnach "nach ihrer Art und Höhe so bemessen" sein, "dass kein Anreiz für eine bevorzugte Verschreibung bestimmter Arzneimittel entsteht".
Politiker fordern strengere Regeln
Dem SPD-Politiker Lauterbach reicht dies nicht aus. Er regte im ARD-Magazin "Panorama" eine Genehmigungspflicht für Anwendungsbeobachtungen an. "Es geht um die Patientensicherheit", sagt er. Schließlich bestehe die Gefahr, dass die bezahlten Studien für Ärzte ein Anreiz sind, Patienten schlechtere oder nebenwirkungsreichere Medikamente zu geben. "Hier muss dringend etwas passieren", sagt er.
Linkspartei-Gesundheitsexpertin Vogler reicht sogar eine Genehmigungspflicht nicht aus. Sie fordert, "Studien zur Praxisanwendung ganz der Pharmaindustrie aus der Hand zu nehmen". Die meisten Anwendungsbeobachtungen seien wissenschaftlich sinnlos. "Aber die, die man braucht, sollten von unabhängigen Institutionen untersucht werden", so Vogler.
Der AOK-Bundesverband bezeichnet diese Form der Studien als "reine Marketinginstrumente der Pharmaindustrie". "Sie setzen Anreize zur Fehlversorgung und bringen keinerlei Erkenntnisgewinn", so ein Sprecher.
Viele Studien dort, wo Konkurrenz groß ist
Ein Ergebnis der Recherchen war, dass viele Anwendungsbeobachtungen zu alten Präparaten durchgeführt werden, bei denen es nach Experteneinschätzung keinen erwartbaren Erkenntnisgewinn mehr geben könne. Auffällig stark vertreten sind zudem besonders teure Medikamente oder solche mit starker Konkurrenz zu anderen Mitteln, darunter auch solche, die zur Diagnostik eingesetzt werden. Unter den zehn Top-Präparaten, die an besonders vielen Patienten untersucht werden sollen, finden sich gleich sieben Kontrastmittel, wie sie bei Röntgenuntersuchungen und im Computer- oder Magnetresonanztomografen eingesetzt werden, um Gewebe besser darzustellen. Insgesamt sollten von 2009 bis 2014 Anwendungsbeobachtungen zu mehr als 500.000 Patienten beim Einsatz eines Kontrastmittels durchgeführt werden.
Ein Beispiel: die Studie "Vi-Conect". Der Hersteller des Kontrastmittels und Auftraggeber der Anwendungsbeobachtung GE hat im Gegensatz zu vielen anderen Pharma-Unternehmen sowohl Fragen zur Höhe der Honorare als auch zur Zahl der teilnehmenden Ärzte beantwortet. Die jüngste Anwendungsbeobachtung des Unternehmens zu ihrem Kontrastmittel Visipaque lief von 2013 bis 2014. 56 Arztpraxen nahmen teil. Sie brachten insgesamt mehr als 13.500 Patienten ein. GE zahlte 35 Euro pro Patient. Im Schnitt bekam jede Praxis damit etwa 8500 Euro. Generell begründen alle angefragten Firmen die Anwendungsbeobachtungen damit, sie im Sinne der Patientensicherheit - etwa um die Strahlendosis möglicherweise reduzieren zu können - und für den Fortschritt in der Diagnostik ein wesentliches Instrument seien.
Dagegen vermutet Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des Arznei-Telegramms, auch eher andere Interessen der Hersteller. Denn es sei ein hart umkämpfter Markt mit klarer Zielgruppe, sagt er. Die Firmen kämpfen um relativ wenige Röntgenärzte, die Kontrastmittel anwenden. Zudem sind die Mittel meist sehr vergleichbar.
Pharma-Firmen sehen Studien als unverzichtbares Instrument
Der Pharma-Verband VFA widersetzte sich auch dem Vorwurf, dass Firmen durch "legalisierte Korruption" im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen ihre Medikamente in den Markt drücken. Der VFA spricht von einem "unverzichtbaren Instrument für die Arzneimittelforschung". Anders als bei klinischen Studien würden hier Informationen über Arzneimittel unter Alltagsbedingungen gewonnen.
Schon im Jahr 2013 hatte allerdings das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anhand einer eigenen Analyse die große Beteiligung von Kontrastmitteln an AWB kritisch bewertet. Sie stellten fest, dass viele Anwendungsbeobachtungen zu alten, besten erforschten Mitteln durcheführt wurden. Nur eines sei damals seit weniger als fünf Jahren auf dem Markt gewesen. "Vor diesem Hintergrund können wir den Verdacht nicht ausräumen, dass eine beträchtliche Zahl" von Anwendungsbeobachtungen "vor allem aus Marketinggründen durchgeführt wurde."